Am 1.Dezember 1936 übersandte ein Bremer Justizinspektor auf Anforderung des Oberdirektors der Bremischen Vollzugsanstalten als verantwortlicher Leiter des Gefangenenhauses folgenden Bericht: Grundlage für die Inhaftierung politischer Häftlinge im Gefangenenhaus war nach den willkürlichen Verhaftungsmaßnahmen der ersten Monate nach der Machtergreifung der "Schutzhaftbefehl" der Geheimen Staatspolizei. Im Gefangenenhaus blieben die Schutzhäftlinge wenige Tage, Wochen, Monate oder im äußersten Fall auch mehrere Jahre. Von hier aus wurden sie ins Untersuchungsgefängnis überwiesen, in Konzentrationslager verschleppt oder aber auch wieder mit einem entsprechenden Entlassungsausweis freigelassen.
Politische Gefangene waren Kommunisten und Sozialdemokraten, Ernste Bibelforscher und Juden, Homosexuelle, "Zigeuner", alle, die mit dem nationalsozialistischen Regime und ihren Machthabern in Konflikt gekommen waren oder versucht hatten, ihm Widerstand zu leisten. Bekannte Namen waren darunter, wie der des späteren Präsidenten des Senats Willy Dehnkamp oder der des ersten Nachkriegspräsidenten der Bremischen Bürgerschaft August Hagedorn. Im Gefangenenhaus inhaftiert war 1941 aber auch der damals sechzehn Jahre junge Pole Walerjan Wróbel, bevor er ins KZ Neuengamme deportiert und schließlich vom Bremer Sondergericht zum Tode verurteilt und in Hamburg hingerichtet wurde, weil er aus Heimweh in Lesum die Scheune seines bäuerlichen Arbeitgebers angezündet hatte.
Die Zahl der inhaftierten Schutzhäftlinge schwankte. Im Mai 1934 waren es zum Beispiel täglich 70 bis über 80. Ende der dreißiger Jahre sanken die Zahlen manchmal auf täglich rund 30 "Politische", um in den vierziger Jahren wieder deutlich zuzunehmen. Anfang 1944 waren mindestens 80% der im Gefangenenhaus inhaftierten Häftlinge Gestapo-Häftlinge: am 5. Februar 260 Männer und 98 Frauen, darunter jetzt allerdings viele Zwangsarbeiter, die wegen Arbeitsverweigerung eingeliefert worden waren.
Im Gefangenenhaus regelte seit dem 1. Januar 1940 die allgemeine Polizeigefängnisordnung den Strafvollzug der Gefangenen. Ihr realer Alltag dürfte aber oft anders ausgesehen haben. Verantwortlicher Leiter des Gefangenenhauses war seit dessen Einrichtung als Polizeigefängnis im Jahre 1940 der 49jährige Polizeiinspektor Paul Meier. Folgt man den 1948 in einem Entnazifizierungsprozess gegen ihn gemachten Zeugenaussagen, so war der Strafvollzug im Gefangenenhaus "an und für sich human". Er führte seine Anstalt nach den Vorschriften der Polizeigefängnisordnung hart und patriarchalisch streng, oft im Tone auch rüde, barsch und laut. Für die "Politischen" hatte er in der Regel nicht viel übrig, aber das war Tradition in der deutschen Polizei. Das Personal, 1938 noch aus einem Inspektor, einem Hauptwachmeister, drei Oberwachtmeistern, sechs Aufsehern und einem Kanzleiangestellten bestehend, war nach 1940 aufgestockt und besonders um weibliche Aufseherinnen vermehrt worden.
Fast alle waren sie langgediente, zwischen 46 und 56 Jahre alte Polizeibeamte, teils parteilos, teils 1937 in die NSDAP eingetretene Parteigenossen. Die Ausnahme stellte ein 34jähriger ehemaliger Hilfspolizist dar, 1933/34 Mitglied der SA, seit 1937 Parteigenosse und offensichtlich derjenige, der die Dreckarbeit machte, wenn es im Gefangenenhaus handgreiflich wurde. Aber es gab auch den alten sozialdemokratischen Vollzugsbeamten, von dem sich unter den Häftlingen und ihren Ange-hörigen rumgesprochen hatte, dass er half, wo er es verantworten konnte. Die Häftlinge hatten im Gefangenenhaus zu arbeiten, auch wenn es zu den Disziplinierungsmaßnahmen der Gestapo gehörte, den politischen Gefangenen das Arbeiten zu verbieten. Was anfiel waren Arbeiten in der Bast- und Mattenmacherei, Garnarbeiten, Hausarbeiten, auch Hilfen bei der Büroarbeit.
Wer gegen die Haus- und Gefängnisordnung verstieß, wurde hart bestraft, mit Einzelhaft im Keller oder auch durch mehrtägigen "Schweren Arrest" bei Wasser und Brot auf der Holzpritsche ohne wärmende Decke. Die Gefangenen durften Besuch empfangen, Rauchen, Lesen und Schreiben - wenn die Gestapo dies genehmigte. Denn neben der Polizeigefängnisordnung gab es die allgegenwärtige Willkür der Gestapobeamten im Gefangenenhaus.
Die Gestapo ging im Gefangenenhaus ein und aus. Zwar wehrte sich der Leiter der Anstalt, wenn er seine Autorität und Zuständigkeit zu sehr in Frage gestellt sah, lieber und meistens aber schaute er weg und vollzog die Anordnungen der Gestapo in seinem Haus: Rauchverbot, Verbot des Zeitungslesens, Beschäftigungsverbot, Schreibverbot, Besuchsverbot, Entzug von einzelnen Vergünstigungen für die Häftlinge. Alles musste bei der Gestapo am Wall 199 schriftlich von den Häftlingen beantragt werden, und die Beamten entschieden eher demütigend restriktiv. Die Gestapo besaß im Gefangenenhaus ihr eigenes Vernehmungszimmer, wo sie einen Teil ihrer Verhöre durchführte. Hierbei kam es zu Schlägen und Misshandlungen, anfangs auch zu den gefürchteten Überstellungen von Schutzhäftlingen zur "Sonderbehandlung" ins Gosselhaus, von wo die Gefangenen zerschlagen und oft psychisch gebrochen zurückkehrten. Wer nicht gestehen wollte wurde in den Keller in Einzelhaft gesteckt oder in der Dunkelzelle isoliert. Gegenüber weiblichen Gefangenen kam es mitunter zu gewalttätigen sexistischen Übergriffen und Misshandlungen. Nicht alle Häftlinge hielten den seelischen Belastungen des Gefangenenalltags unter diesen besonderen Bedingungen stand. Mehrfach kam es zu Selbstmordversuchen. So schnitt sich im September 1933 der dreißigjährige politische Häftling Friedrich Sch. mit einer Rasierklinge die Pulsader auf, konnte aber in der Krankenanstalt gerettet werden. Die Gestapo ordnete an, den Gefangenen im Gefangenenhaus künftig Rasiermesser und Rasierklingen abzunehmen. Im August 1934 versuchte der ebenfalls dreißigjährige Schutzhäftling Karl R. nach einwöchentlicher Einzelhaft seinem Leben durch Erhängen ein Ende zu setzen. Andere reagierten auf den unerträglichen Druck mit Ausbruchsversuchen, die jedoch scheiterten, wie der dreier wegen Hochverrat angeklagter Schutzhäftlinge im Dezember 1938, die versucht hatten, sich durch das Fenster einen Weg in die Freiheit zu verschaffen. Ihr Versuch misslang und sie wurden zu zwei Monaten Gefängnis wegen Gefangenenmeuterei verurteilt.
Hartmut Müller, Mai 2002