Rechts neben den klassizistischen Säulen des südlichen Torhauses am Ostertor stand in der Kaiserzeit vor einem Schilderhäuschen ein Polizist mit Pickelhaube und silbergeknöpftem Uniformrock Wache. Ihm gegenüber deutete nichts darauf hin, dass sich hier im nördlichen Torhaus unter einer großen runden Uhr weiterhin das Polizeigefängnis der Stadt befand.
Eigentlich hatte der Senat das Gebäude längst schon abreißen lassen wollen. 1907 hatte er den Plan eines Neubaus an der Bucht- oder Ostertorswallstraße mit über 600.000 Mark Kosten als zu teuer verworfen. Nach einem Brand hatte man 1910 festgestellt, dass das Gebäude alles andere als feuersicher war. Grundlegendes aber passierte nicht. Es wurde hier ein wenig saniert, dort geflickt. 1919 endlich bekam das Gefangenenhaus an Stelle der Gasbeleuchtung elektrisches Licht. Und 1922 wurde ein zusätzlicher Bade- und Desinfektionsraum eingerichtet, nachdem bisher nur ein einziger Baderaum im Keller zur Verfügung gestanden hatte. Für die tägliche Körperpflege musste die Waschschüssel in der Zelle herhalten.
Im Gefangenenhaus galt seit 1885 eine neue und strenge Hausordnung. Das war bei der auch jetzt immer wieder vorkommenden Überfüllung des Hauses nötig. Gefangene mussten öfters an das Arbeitshaus abgegeben werden. Platz schuf 1895 die Eröffnung des Untersuchungsgefängnisses im Gerichtsgebäude an der Domsheide.
In § 14 der Dienstanweisung vom 27.9.1895 an den Gefängniskommissär heißt es: "Dem Gefängniskommissär wird eine humane Behandlung der Gefangenen zur Pflicht gemacht, soweit als solche mit dem Zwecke der Haft ... vereinbar ist." Bei aller korrekten Behandlung der Gefangenen kam es doch immer wieder auch zu Verzweiflungstaten in den Zellen. So wurde am Morgen des 1. November 1923 die unter dem Verdacht des Diebstahls am vorhergehenden Abend eingelieferte 22jährige Dienstmagd Maria E. bewusstlos im Bett liegend mit allen Anzeichen einer selbstmörderischen Vergiftung vorgefunden. Ab 1928 wurden Frauen nicht mehr im Gefangenenhaus inhaftiert, sondern im Untersuchungsgefängnis untergebracht.
In Deutschland hatte es im ganzen 19. Jahrhundert keine einheitliche Regelung des Gefängniswesens gegeben. Wissenschaftler trafen sich zwar regelmäßig zu nationalen und internationalen Fachtagungen zum Thema, doch wurden erst 1923 durch das Reichsjustizministerium allgemeinverbindliche "Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen" erlassen.
Das Gefangenenhaus leitete jetzt ein Gefängnisinspektor. Ihm zur Seite stand der Oberaufseher. Dienst taten täglich auch mehrere Aufseher und Aufseherinnen. Seit 1923 war im Gefangenenhaus auch eine Polizeihundestaffel untergebracht mit den Schäferhunden "Lux", "Blitz" und "Benno".
Inhaftiert wurden im Gefangenenhaus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch schulpflichtige Jungen und Mädchen, die im Wiederholungsfall die Schule versäumten und deren Eltern die fällige Geldbuße nicht bezahlen konnten oder wollten. Die Schulbehörde konnte ersatzweise eine Gefängnisstrafe bis zu drei Tagen verfügen und tat dies, wie die Gefangenenstatistik ausweist, auch regelmäßig. 1880 saßen so 135 "Knaben" ihre Versäumnisstrafen in zwei kleineren Zellen ab, die für die Unterbringung auch jugendlicher Verbrecher und Prostituierter bestimmt waren. Um die Jahrhundertwende ging die Zahl der jährlich verhängten Schulstrafen zurück. 1920 sah das "Gesetz über die Bestrafung von Schulversäumnissen in der Stadt Bremen und im Landgebiet" aber immer noch Haftstrafen von sechs Stunden bis zu drei Tagen vor.
Die gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik schufen einen neuen Typ des Gefangenen, den politischen Gefangenen. Zahlreiche Anhänger der Linksparteien wurden in den zwanziger Jahren wegen Verstoßes gegen das Demonstrationsverbot von der Straße weg als sogenannte "Schutzhäftlinge" verhaftet und zu kürzeren oder längeren Freiheitsstrafen verurteilt. Der spätere Bremer Bürgermeister Adolf Ehlers saß so im Oktober 1923 eine fünftägige Haftstrafe im Gefangenenhaus ab. Die kommunistische "Rote Hilfe" rief öffentlich zur Unterstützung der politischen Gefangenen auf.
Hartmut Müller, Mai 2002